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„Körperlichkeit versprachlichen“

von

Kincsö Szabó

Masterthesis

FHNW Hochschule für Gestaltung und Kunst, Basel

Institut Integrative Gestaltung


Das Thema meiner Masterthesis „Der Blick auf den Körper“ hat mit dem Interesse an unseren gesellschaftlichen Problemen angefangen, die unser Leben heute betreffen, wie z.B.Diskriminierung, Ausbeutung, Drogen- und Internetabhängigkeit und Belastung am Arbeitsplatz. Ich habe darüber nachgedacht, was einer der Gründe für diese gesellschaftlichen Probleme sein kann. Eine Sucht oder Überbelastung am Arbeitsplatz ist ein Zeichen von einer Entfremdung von sich selbst. Der Kontakt zu den eigenen Bedürfnissen und zum eigenen Selbstbewusstsein ist gestört. Diese Entfremdung kann natürlich aus vielen verschiedenen Gründen entstehen. Jedoch denke ich, dass der Schlüssel für das Erkennen der eigenen Bedürfnisse auch mit der Wahrnehmung des eigenen Körpers zu tun hat. Durch meine persönliche Erfahrung lässt der Körper seine persönliche physische Grenze wahrnehmen, im Muskeltonus die Emotionen erfühlen und das Gefühl spiegelt sich in der Bewegung unserer Gestalt wider. Wenn wir diese Wahrnehmung des Körpers in unseren Arbeitsablauf einbinden, würde sich dies auf die Gesellschaft auswirken. So ging ich auf die Suche, um meine persönlichen Beobachtungen mit denen anderer ForscherInnen, DenkerInnen und PhilosophInnen zu verknüpfen. In dem Buch „Was der Körper zu erzählen hat“ von Daria Halprin entwickelt die Tänzerin und Psychologin eine „Expressive Arts Therapy in Theorie und Praxis“. Sie konzipiert darin eine Therapieform als künstlerischen Ausdruck anhand des Körpers. Außerdem stellt sie den theoretischen und philosophischen Hintergrund ihrer Arbeit vor. Sie beschreibt: „Dass die Körpererfahrung als Wissensquelle verloren ging, läßt sich im größeren historischen Kontext genauso wie in unseren individuellen Schwierigkeiten erkennen.“2 Und dieser Spur folge ich in meiner Arbeit. Was, wenn die körperliche Wahrnehmung einen anderen Stellenwert einnimmt? Verändert sich vielleicht dadurch die gesellschaftliche Norm für die Arbeitsleistung? Heutzutage erleben wir eine Gegenbewegung der Entschleunigung zu der Schnelllebigkeit unseres Alltags. Mindfulness Practice am Arbeitsplatz, Yoga in verschiedenen Formen, Meditation in staatlichen Schulen sind einige der Angebote, die die Gesellschaft aufsucht, um der Schnelllebigkeit entgegenzuwirken.

Nach meiner Formulierung sind diese Tätigkeiten eine Kombination von körperlicher und

geistiger Aktivität. Ich suche jedoch nach einem Gestaltungsmittel, um das Körpergefühl

direkt in den Alltag einzubinden, z.B. bei der Schreibtischarbeit oder bei täglichen Erledi-

gungen. Es geht mir darum, durch kurze Momente der Präsenz die Aufmerksamkeit auf das Körpergefühl zu richten. Ich möchte einen Platz einräumen für einen andauernden Dialog zwischen Körper und Geist, der unwiderruflich und dauerhaft in den Menschen stattfindet und keine äußeren Räume zur Verbindung braucht. Der Raum und die Praxis zur Verbindung zwischen Körper und Geist soll in uns selbst integriert sein und zu jedem Zeitpunkt stattfinden. Als Designerin beschäftige ich mich mit dieser Problemstellung und ich suche nach einem Mittel, um diese Möglichkeiten erfahrbar zu machen. Wie kann ich meinen Körper fühlen und hören und wie kann ich für dieses Erleben eine Sprache finden? Denn erst durch die verbale Kommunikation über dieses körperliche Erleben wird sie im Alltag sichtbar. Wir bewegen uns jeden Tag mit unserem Körper durch Räume; daher glaube ich, dass die Förderung einer sensibleren Wahrnehmung für die eigene Körperlichkeit ein Potenzial mit sich bringt, um den eigenen Körper als Gestaltungsmittel bewusst machen zu können und um aktiver im Leben zu handeln.


Einleitung - Kontext


„Der Körper spricht nicht, sondern er zeigt. Dieses Zeigen funktioniert nicht wie die Logik

der Sprache über das Entweder-oder. Körper-Zeigen, das hat der Medienwissenschaftler

Dieter Mensch immer wieder betont, meint das Nicht-Identische. Und dieses ist im sprachdominierten Wissenschaftsdiskurs bisher ohne Zweifel viel zu wenig ernst genommen worden.“3

Der Körper, im Unterschied zur Sprache, zeigt und somit handelt er auch. Das englische

Wort für „handeln“ ist auch in der Performance wieder zu finden. Im Metzler Lexikon für

Theaterwissenschaften steht zu „performance“: „Aufführung, Leistung; to perform: voll-

ziehen, handeln, tun“.4 In der Kommunikationswissenschaft gehört die Handlung auch zur Betrachtung der nonverbalen Kommunikation.


Klaus Beck definiert: „Unter nonverbalen Signalen sind alle Zeichen zu verstehen, die nicht unmittelbar mit dem Sprechen selbst verbunden sind, dies aber begleiten können: Gesichtsausdruck (Mimik), Bewegung vor allem der Hände und Arme (Gestik), aber auch die Körperhaltung und die Stellung im Raum sowie zum Kommunikationspartner (Proxemik) und das Blickverhalten, das eine große Rolle bei der Kontaktaufnahme und beim Sprechwechsel spielt. Lächeln, Lachen, Weinen, aber auch eine entspannte Sitzhaltung, ein Hinüberlehnen zum Kommunikationspartner, das Herumzappeln mit den Füßen, Selbstberührungen (Kopfkratzen, Augenreiben etc.), das Verschränken der Arme – all diese Verhaltensweisen können vom Kommunikationspartner als Anzeichen für die tatsächliche oder angebliche Befindlichkeit des Redners, insbesondere für seine Glaubwürdigkeit, gedeutet werden.“5 Eine sprachliche Äußerung entsteht durch die Entscheidung für ein bestimmtes Wort, um eine Wahrnehmung zu vermitteln oder eine Idee zu kategorisieren. Beim Sprechen treffen wir die Entscheidung des Entweder-oder.

Wie Klaus Beck beschreibt, werden in der nonverbalen Kommunikation diese Entscheidungen vielmehr unmittelbar getroffen. Das motorische Gedächtnis, welches an den Körpergebunden ist, bietet uns eine andere Art der Erfahrung. Eine Handlung im Rahmen einer Performance verläuft allerdings unter einer anderen mentalen Transformation als eine Handlung im Alltag. Was unterscheidet sie? In der Handlung befinde ich mich während der Performance auf der Metaebene und gleichzeitig bin ich komplett wach, während Alltagshandlungen nicht unbedingt einer Metaebene ausgesetzt sind. Als Metaebene wird laut Duden „eine übergeordnete Stufe bezeichnet.“ Dieses Wissen des „Nicht-Identischen“-Zeigens anhand des Körpers anzuwenden, es in den Alltag zu integrieren und bei der Gestaltung miteinzubeziehen, war eine meiner ersten Ideen. Wie kann etwas „Nicht-Identisches“ zugänglich vermittelt werden? Wir bewegen uns Tag für Tag mit unserem Körper durch den Raum, deshalb ist eine körperliche Auseinandersetzung relevant. Wie sollte diese Auseinandersetzung entstehen?


Durch meine eigenen Beobachtungen bemerkte ich, dass eine Auseinandersetzung mit dem Körper eine Versprachlichung benötigt, um sie in den Alltag zu integrieren. Durch die wöchentlichen Proben konnte ich ebenfalls beobachten, wie die TeilnehmerInnen nach jeder Übung unaufgefordert in den gegenseitigen Austausch übergingen. Die körperlichen Erlebnisse wurden sofort miteinander verbal geteilt. Der Kern dieser Situation war für mich, wie das körperliche Erleben durch die Sprache ins Bewusstsein gerückt ist. Über die sprachliche Kommunikation der körperlichen Erlebnisse entsteht eine Metaebene über meine körperliche Handlung. Dies war für mich ein Anfang, um ein Gestaltungsmittel zu finden durch die Verwendung von Tanzmitteln. Wenn man geschichtlich zurück blickt, wurde z.B. mehrmals versucht, für Bewegung Tanzschriften zu entwickeln. Rudolf Laban hat an der Entwicklung einer Tanzschrift gearbeitet – einer Art Partitur für den Tanz –, basierend auf graphischen Zeichen. Um sich der Tanzschrift anzunähern, beschäftigt sich Laban vor allem mit geometrischen Formen und mit den platonischen Körpern.

Rudolf Steiner entwickelte eine Bewegungskunst mit dem Namen Eurythmie, wo Sprache durch Bewegung sichtbar gemacht wird. Hier liegt der Fokus zum Teil auf der Lautebene der Wörter. Mit meinem vorherigen Studium der Eurythmie und meinen weiteren Erfahrungen mit unterschiedlichen Bewegungskünsten versuchte ich ein Mittel zu entwickeln um dieses Wissen präsenter in den Alltag zu rücken. …………………………………….


2Halprin, Daria: Was der Körper zu erzählen hat. K. Kieser Verlag, München 2013, S. 35.

3Gehm, Sabine, Husemann, Pirkko, von Wilcke, Katharina (Hrsg.): Wissen in Bewegung (Pers-pektiven der künstlerischen und wissenschaftlichen Forschung im Tanz). transcript Verlag Bielefeld, 2007, S. 32.

4Fischer-Lichte, Erika, Kolesch, Doris von Warstat, Matthias (Hrsg.): Metzler Lexikon/Theater-

lexikon. J.B. Metzler Stuttgart 2014, S. 248.

5 Beck, Klaus: Kommunikationswissenschaften. UVK Verlagsgesellschaft mbH Konstanz 2007,S. 39.


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